Anne Rosenberg, Silvio Schelle, Olga Kedenburg, Claudia Klett

Das MiMi-Gewaltpräventionsprojekt für geflüchtete Frauen, Kinder und Migrantinnen

Schlagwort(e): Frauen, Geflüchtete, Gewalt, Kinder, Männer, Prävention

Gewalt stellt für Frauen laut WHO eines der größten Gesundheitsrisiken dar. So erleben geschätzt 30 Prozent der Frauen weltweit mindestens einmal in ihrem Leben durch ihren (Ex-)Partner häusliche Gewalt. Nationale Erhebungen zeigen, dass diese Form der Gewalt Frauen in bestimmten Regionen zu einem erheblich höheren Prozentsatz von bis zu 70 Prozent betrifft (WHO et al., 2013). Die Gewalt konkretisiert sich in Formen körperlicher, psychischer, sexualisierter, sozialer und finanzieller Gewalt in Familien und Paarbeziehungen. Der Statistik zufolge tötet auch in Deutschland jeden zweiten bis dritten Tag ein Mann seine (Ex-)Partnerin; jeden Tag erlebt eine Frau einen Angriff mit Tötungsabsicht (Bundeskriminalamt, 2017). Geflüchtete Frauen und Mädchen sind um ein vielfaches mehr von (sexualisierter) Gewalt betroffen. Vor, während und nach der Flucht ist diese Gruppe unzähligen Gewaltsituationen ohne nennenswerte Schutzmöglichkeiten ausgesetzt.

Das MiMi-Konzept
Das bundesweite Projekt „MiMi-Gewaltprävention für geflüchtete Frauen, Kinder und Migrantinnen“ wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert und verfolgt seit Projektbeginn 2016 das Ziel, die massive Gewalt gegen Frauen mit Fluchterfahrung einzudämmen und sie über ihre Rechte und Schutzmöglichkeiten in Deutschland zu informieren.

Gesamtprojektträger ist das Ethno-Medizinische Zentrum e. V., das im Jahr 2003 für den Bereich der migrantischen Gesundheitsförderung die MiMi-Integrationstechnologie entwickelt hat. MiMi steht für „Mit Migranten für Migranten“ und hat sich als Konzept inzwischen vielfach bewährt. Gegenwärtig fördert das Bundesministerium für Gesundheit das Projekt „MiMi-Gesundheitsinitiative Deutschland“ in zehn Bundesländern mit insgesamt 1.000 Infoveranstaltungen, um gesunde Lebensweisen von Menschen mit Migrationserfahrung zu fördern und sie zu präventivem Handeln zu motivieren.

Im MiMi-Konzept werden die enormen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen migrationserfahrener Frauen und Männer in Deutschland genutzt, um auch die Migrant*innen zu erreichen, die wegen Sprachbarrieren und Informationslücken nicht von der gesundheitlichen Regelversorgung erreicht werden. In über 15.000 Infoveranstaltungen seit 2004 konnten auf diese Weise bereits über 170.000 Migrant*innen herkunftssprachlich und kultursensibel zu Gesundheitsthemen informiert werden. Bisher waren über 2.500 transkulturelle Mediator*innen in 71 deutschen und europäischen Standorten aktiv. Damit ist MiMi das bisher größte Präventionsprogramm für Migrant*innen in Europa.

Gewaltprävention
2016 wurde diese erfolgreiche Integrationsstrategie auf das Handlungsfeld der Gewaltprävention übertragen. Mit dem Kooperationspartner des Projekts, der Dualen Hochschule Villingen-Schwennigen (DHBW), wurde für die Schulung der Mediatorinnen ein Curriculum erarbeitet, welches das umfassende Themenfeld in verschiedenen Modulen behandelt. Sie umfassen Formen und Ursachen von (sexualisierter) Gewalt, Täterstrategien, Traumafolgestörungen und die in Deutschland geltenden Rechte und Schutzmöglichkeiten für betroffene Frauen und Mädchen. Ergänzt werden sie um ein Praxismodul, das die Mediatorinnen auf die Organisation und Durchführung der Informationsveranstaltung vorbereitet. Das Projekt richtete sich zunächst ausschließlich an Frauen. Das Engagement der ehrenamtlich tätigen Mediatorinnen war von Beginn an außerordentlich hoch. Den Beteiligten war klar, dass der erste Schritt des Wegs aus der Gewalt im Mut liegt, das Schweigen über das stark tabuisierte Thema der (sexualisierten) Gewalt aufzubrechen. Empowerment ist ein Schlüsselelement zur Inanspruchnahme der eigenen Rechte und die transkulturellen „MiMis“ sind hier Vorbilder. Sie erhalten durch ihren ähnlichen kulturellen Bezugsrahmen leichter Zugang zu den Frauen.

In Gemeinschaftsunterkünften, Sprachkursen, Kulturzentren oder religiösen Einrichtungen sind inzwischen mehr als 1.300 Informationsveranstaltungen für geflüchtete und auch migrantische Frauen durchgeführt worden. Auf Arabisch, Dari, Farsi, Paschto, Kurdisch, Türkisch, Bosnisch/Serbisch/Kroatisch, Russisch, Englisch, Französisch und sieben weiteren Sprachen haben die Mediatorinnen ihre Zuhörerinnen ermutigt. Sie haben den Teilnehmerinnen dargelegt, dass sie unter keinen Umständen die Schuld oder Verantwortung für erlittene Gewalt tragen und dass es in Deutschland ein Hilfesystem gibt, das sie im Ernstfall für sich in Anspruch nehmen können und sollen.

Männer müssen mit
Mit Beginn des Projekts haben die Mediatorinnen immer wieder betont, dass eine wirksame Gewaltprävention auch Männer einschließen muss. Gemeint war dabei ausdrücklich nicht, alle Männer als potenzielle Gewalttäter zu adressieren, denn das muss ausdrücklich gesagt werden: Die Mehrheit der migrantischen und geflüchteten Frauen erfährt in ihrem nahen Umfeld keine direkte körperliche Gewalt. Gleichwohl geht es aber für die Mehrzahl der Männer um eine notwendige Einsicht in den Zusammenhang von ungleichen Machtbalancen und (sexualisierter) Gewalt als ein mehr oder weniger legitimiertes Mittel zur Konfliktbewältigung in Familien und Partnerschaften. Ein Hochrisikofaktor für das Entstehen geschlechtsspezifischer Gewalt ist es, wenn Frauen einem männlichen Herrschafts- und Besitzdenken zuwiderhandeln und der Täter keine Konsequenzen für ein Gewalthandeln befürchten muss.

Das Projekt behandelt Zusammenhänge gewaltfördernder Vorstellungen von Männlichkeit(en) unter der Fragestellung, welche Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten Frauen in der Partnerschaft zuerkannt werden. Seit 2017 werden zu diesen Themen männliche Mediatoren für Gewaltprävention im MiMi-Projekt geschult. Sie schaffen in ihren Infoveranstaltungen für geflüchtete und migrantische Männer einen Raum zur kultursensiblen Annäherung an diese Fragestellungen. „Das gehört doch zu unserer Kultur“ ist dabei eine häufige Abwehrstrategie, die es behutsam aufzulösen gilt. Auch die männlichen Mediatoren können hier transkulturelle Vorbilder sein und zeigen, dass geschlechtergerechte Partnerschaften gelebt werden können, ohne dass die mitgebrachte kulturelle Identität aufgegeben werden muss.

Inzwischen sind über 130 männliche Mediatoren für Gewaltprävention in elf Bundesländern aktiv und konnten mit über 2.000 Männern in den Dialog treten. Viele der Teilnehmer sind selbst durch die Flucht und Kriegssituationen von Gewalt betroffen. Auch sie erfahren Unterstützungsangebote durch die Mediatoren.

Mit dem Projekt fördern die Mediator*innen letztlich auch den internen Diskurs über Geschlechterrollen in den migrantischen Communitys, der Ende der 1960er-Jahre in der BRD begonnen und seit der „#metoo“-Bewegung eine neue Stufe der Geschlechtersensibilisierung erreicht hat.

Bundesweite Tagung am 18. Dezember in Berlin
Auch im vierten Projektjahr wird das Ethno-Medizinische Zentrum e. V. am 18. Dezember 2019 eine Fachtagung in Berlin durchführen. Wie jedes Jahr werden die Projektergebnisse von den Standortkoordinator*innen und Mediator*innen präsentiert. Expert*innen aus Praxis, Wissenschaft und Politik werden interkulturelle Perspektiven, Herausforderungen, Handlungsmöglichkeiten und vorbildhafte Projekte der Gewaltprävention vorstellen und diskutieren.

Mit dem diesjährigen Motto „Für ein faires Miteinander!“ werden die Zusammenhänge von postmigrantischem Stress und der höheren Prävalenz von innerfamiliärer Gewalt in migrantischen Familien in den Fokus der Tagung gerückt. Inwiefern die Anforderungen der Migration als Stressor eine Rolle spielen und vor welchen großen Herausforderungen insbesondere Väter mit Zuwanderungsgeschichte in der Erziehungsarbeit stehen, wird auf den verschiedenen Podien diskutiert.

Fachkräfte und Interessierte können sich ab Mitte November 2019 unter für eine Teilnahme an der Tagung anmelden. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter www.mimi-gegen-gewalt.de

Quellen:

Anne Rosenberg und Silvio Schelle sind für die Gesamtkoordination von MiMi-Gewaltprävention verantwortlich. Olga Kedenburg ist Standortkoordinatorin in Berlin, Claudia Klett ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der DHBW.

Kontakt:


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